Heute machte Masha einen Ausflug in die Stadt.
Für ein Hundekind dass auf dem Lande aufwächst und tagein, tagaus die Wildnis durchstreift, ist diese Umgebung unfassbar. Überwältigend. Absurd.
Harter Untergrund, enge Wege – ein Labyrinth aus hohen, undurchsichtigen Mauern die es unmöglich machen Bezugspunkte für die Orientierung zu finden.
Hunderte von Stimmen, tausende Beinpaare, und Millionen unbekannter Gerüche. Beständiger Lärm. Es ist schwierig die Quellen von interessanten Geräuschen zu lokalisieren, ein Geschehen länger als ein paar Sekunden zu beobachten, einer Duftspur zu folgen ohne gleich wieder von der Leine gebremst zu werden weil ein zwei- oder vierrädriges Fahrzeug vorbeiprescht.
Die Vögel verhalten sich merkwürdig. Sie fliehen nicht – sondern kommen heran. Eine Dohle starrt sie aus nicht mal einem Meter Entfernung erwartungsvoll an. Masha weicht zurück. Irgendetwas stimmt mit diesen Vögeln nicht. Hallo? Ich bin ein Hund! Wo ist euer Wächter? Wieso kommt kein Warnruf? Wieso flattert ihr nicht weg?
Es gibt viele Hunde hier. Aber die sind stocklangweilig, gehen brav bei Fuß, bewegen sich nur auf Kommando – Steh, Geh, die Augen links – wie Maschinen. Sie würdigen uns keines Blickes. Masha schaut mich fragend an: ist das ein Hund? Sieht aus wie ein Hund, nur kleiner, riecht auch wie ein Hund – schaut aber nicht herüber, rührt sich nicht aus seiner Bahn, nicht mal ein Schwanzwedeln zum Gruß.
Die größte Herausforderung jedoch ist der Müll. Die Stadt ist voll davon. Masha ist überwältigt von diesem ungeheuren Reichtum, und beginnt jedes Detail zu untersuchen.
Ausgespuckte Kaugummis, Glasscherben, halbvolle Chipstüten, Zigarettenstummel, Reste von Zeitungen und Plakaten und andere Papierfetzen, Plastetüten, Teile einer Styroporverpackung, Plasteflaschen, Getränkedosen, eine interessant riechende Papiertüte mit einem bogigen M, unidentifizierbare rote Brückstücke aus Plaste…und da sind wir noch keine fünfzig Meter gelaufen.
Am Hafen findet sie einen toten Fisch auf dem Steg. Masha springt zwei Schritte rückwärts. Sieht essbar aus – riecht aber abstoßend, sogar für einen Hund. Und das will was heißen…
Inmitten dieser Müllhalde sehe ich mich tun was jeder brave Hundehalter tut. Masha hat auf einem der wenigen müllfreien Flecken Gras einen großen Haufen gemacht.
Ich zögere einen Moment. Ich bin geneigt diesen perfekten, olivgrün-brauen Kringel mit seinem eleganten Zipfel, dieses Musterbeispiel von umweltverträglichem Endprodukt – das einzige weit und breit das definitiv und schnell biologisch abbaubar ist – aus schierem Protest einfach liegen zu lassen.
Aber an absurden Plätzen tut man absurde Dinge – also krame ich seufzend die obligatorische Tüte hervor und sammle das Kunstwerk ein, um es in den erstaunlich leeren, mit einer schwarzen Plastetüte ausgekleideten Mülleimer am Rande der Parkanlage zu werfen. Eine fast obszöne Handlung.
Wir verlassen die Stadt und fahren zurück, mit Zwischenstopp am Ostseebad. Es gießt in Strömen. Leine ab, und dann rennt sie los. Sand, Wasser, Vogelkacke, meterhohes Schilf. Ein paar Enten flüchten, laut kreischend und zeternd. Normalität hat uns wieder.